Hallo,
ich bin verzweifelt und weiß einfach nicht mehr weiter.
Mein Sohn ist 7 Jahre alt und kommt jetzt nach den Sommerferien in die Schule.
Bei uns gibt es gute und weniger gute Tage.
Im Moment läuft es eher weniger gut. Wir sind am Monatsanfang umgezogen und seitdem hat er wieder extremere Wutausbrüche.
Mal ein Beispiel:
Da Ferien sind, durfte er abends noch etwas TV schauen. Ich habe ihm dann vorab schon angekündigt, das es gleich ins Bett geht, weil es erfahrungsgemäß besser läuft, wenn er sich drauf einstellen kann. Ich habe ihn dann dreimal gebeten mit mir ins Bett zu gehen und ihm zeitgleich vorgeschlagen, dass wir noch kurz erzählen können, was wir morgen unternehmen möchten. Seine Antwort darauf ,,nö, ich gehe sowieso nicht ins Bett“ . Nach kurzem Diskutieren fing er an, die Kissen durch die Luft zu werfen, gegen die Couchlehne zu treten und einfach zu schreien. Meine Partnerin kam und hob ihn hoch und sagte zu ihm „Es ist Bettzeit und morgen willst du doch ausgeschlafen sein um etwas schönes zu unternehmen“. Daraufhin tritt, schlug, Petze er sie. Woraufhin sie ihn immer wieder zurück schob, da es wirklich oft sehr weh tat. Ich nahm ihn an der Hand und sagte komm wir gehen in dein Zimmer, um ihm die Möglichkeit auch zu geben, runter zu kommen (hat vorher auch öfters funktioniert, heute leider nicht). Er rannte wieder ins Wohnzimmer um auf sie einzuschlagen. Ich ihn wieder an die Hand, in seinem Zimmer angekommen, ging er dann auf mich los, also hob ich ihn fest damit er mich nicht trifft. Er schrieh dann, es sei ihm alles egal. Und er würde uns so sehr hassen und wir wären so sch****. Als ich ihm mitteilte, das ich ihn jetzt loslasse und wir darüber reden können. Wartete er kurz und täuschte immer wieder an, mir mit der Faust ins Gesicht zu schlagen. Er lachte mich an und sagte, siehst du, du hast Angst vor mir. Ich bin daraufhin aus dem Zimmer raus und er schlug an seine Wand, stampfte auf den Boden und schrieh einfach. Als er ruhiger wurde, bin ich dann wieder rein und er meinte, dass er nicht möchte das ich traurig bin. Und dann haben wir unser ganz normales „Einschlafritual“ gemacht.
Das letzte Mal als es so extrem war, habe ich viele darüber gelesen und beschlossen, einiges zu versuchen.
Bei uns zuhause gibt es klare Regeln und wir haben einen festen Rhythmus schon von Anfang an.
Ich habe gedacht, vielleicht war der Umzug etwas viel für ihn und bin deshalb auch viel auf ihn eingegangen und versuche durch positive Bestärkung in dem was richtig gut klappt, die Sachen die noch nicht so gut funktionieren auch hinzubekommen.
Egal, wo wir sind, bekomme ich gesagt, das er so ein netter, höflicher Junge wäre. Aber zuhause ist er leider manchmal genau das Gegenteil.
Ich bin in den Situationen hilflos, ich erkenne ihn kaum wieder. Ich versuche ihm entgegenzukommen und ihm Möglichkeiten zu bieten, wie er besser mit den Emotionen umgehen kann. Aber eine Lösung haben wir noch nicht gefunden.
Sollte ich mir da professionelle Hilfe holen? Welche Erfahrungen habt ihr gemacht? Habt ihr noch Lösungsvorschläge?
Vielen Dank für eure Hilfe!
Liebe Grüße
Hallo Elsbetha,
ich hole kurz etwas aus:
Ich bin gerade in diesem Forum gelandet, da ich hin und wieder mal Bestätigung brauche, dass es nicht nur mir bzw. uns schwer fällt, mit unserem Sohn (8 Jahre) korrekt umzugehen. Bei mir kommt schnell der Gedanke, in meiner Erziehung versagt zu haben oder die Kontrolle verloren zu haben. Derzeit bin ich mit meinem Sohn im Urlaub und ich leide seit ein paar Tagen an vielen Konflikten mit ihm. Dazu später mehr.
Zum Hintergrund: Seine Mutter und ich sind seit 2020 getrennt, es gab keinen Rosenkrieg oder Streitereien, die wir auf dem Rücken unseres Sohnes austragen. Jegliche Ahnungen, dass er für die Trennung verantwortlich sein könnte, haben wir von ihm fern gehalten. Es gibt eine große Familie, vor allem mütterlicherseits, in der auch authentischer, herzlicher Austausch zwischen Mutter- und Vaterseite passiert. Ich verbringe ca. 40% der Zeit mit meinem Sohn, verbringe auch viel Alltag mit ihm, nicht nur "entspannte" Wochenenden. Ferien teilen wir immer 50/50. Seit einem halben Jahr habe ich eine neue Partnerin, die auch einen Sohn (10 Jahre) hat. Kennengelernt haben sich alle vor knapp 3 Monaten.
Unser Sohn hat eigentlich schon immer Wutausbrüche. In letzter Zeit wurde es dadurch auffälliger, dass er nicht nur tobt und laut schreit, sondern auch schnell zuschlägt. Zumindest das Schlagen passiert nicht gegenüber Erwachsenen, aber er kann bisweilen extrem respektlos und beleidigend sein, vor allem gegenüber Frauen. Zu spüren bekommen das seine Mutter, meine Freundin und die Lehrer. Auch früher die Erzieherinnen in der KiTa. Es ging soweit, dass uns sogar von der KiTa nach knapp 4 1/2 Jahren und 3 Monate vor der Einschulung fristlos gekündigt wurde. Eine Erzieherin hatte große Probleme mit ihm und gedroht, zu kündigen, sollte das Kind bleiben. Da hatten wir dann den kürzeren gezogen. Vorher gab es schon viele Tage, an denen wir ihn früher abholen mussten, da er die Erzieher überforderte.
Mit unseren Problemen sind wir immer pro-aktiv umgegangen: Mein Sohn wurde 2 Jahre von einer Kindertherapeutin begleitet. Die Möglichkeiten von ADS, ADHS, Hyposensibilität und Höherbegabung abgeklopft. Wir haben viele, lange Gespräche mit Erziehern, Lehrern und KiTa- bzw. Schulleitung geführt, um uns Rat zu holen, um Verständnis zu werben oder KiTa und Schule auf unseren Sohn "vorzubereiten". Wir haben mit Elternberatungen gesprochen und uns Rat geholt. Ich habe eine Verhaltenstherapie gemacht, um mein Verhalten zu überprüfen und meine Enttäuschung und meinen Ärger über das Verhalten meines Sohnes zu bewältigen. Und natürlich haben wir immer viel mit unserem Sohn gesprochen und versucht, alles Kindgerecht zu erklären, Enttäuschungen zu verarbeiten und dem Trotz entgegenzuwirken. Die ganze Familie haben wir immer wieder "abgeholt" und um Verständnis geworben. Wir Eltern haben immer an einem Strang gezogen, trotz Trennung.
Die professionelle Hilfe und den pro-aktive Umgang kann ich jedenfalls sehr Empfehlen. Nicht nur für das Kind, sondern auch für die Eltern. Seine Mutter war schon so traumatisiert, dass sie sich nicht traute, ans Telefon zu gehen, wenn die KiTa, Schule oder Nachmittagsbetreuung angerufen haben. Ich hatte mit starken Schuld- und Versagensgefühlen zu kämpfen. Das alles wurde durch die Hilfe, die wir uns geholt hatten relativiert. Es hat uns einen ganz anderen Blick auf uns und unseren Sohn gegeben. Unter Eltern wird ja, zumindest wenn man sich nicht eng kennt, meistens die Fassade aufrechterhalten, dass bei ihren Familien und Kindern alles Perfekt sei. In jeder Klasse gibt es die Super-Mütter und Super-Väter, die die immer Anwesend sind, die Eltern-WhatsApp-Chatgruppen beherrschen und einem von oben herab die richtige Erziehung erklären wollen. Und wir waren lange dafür empfänglich. Das ist durch unser Vorgehen zum Glück vorbei.
Dennoch ist unser Sohn nicht komplett gewandelt. Durch Regeln, Rituale und Zeiten, die in beiden Haushalten gleichermaßen gelten, haben wir Struktur für unseren Sohn geschaffen. Das hat sehr geholfen und trotzdem gibt es Tage an, dem die Aufforderung, die Zähne zu Putzen oder doch mal jetzt endlich nach 2 Stunden das verdammte Tablet weg zulegen, zu grosser Verwunderung (nämlich Wutgeschrei) führt. Auch zeigen sich Lebensveränderungen (neue Partnering/Partner, Umzug) bzw. Alltagsveränderungen (Urlaub/Ferien, Überforderungen, ärger mit Kumpels, Überhöhter Medienkonsum) immer direkt oder verzögert. Da hilft bei uns immer viel Nachsicht, liebe Worte, streicheln und überhaupt viel Körperkontakt. Auch wenn man das Verhalten des Kindes gerade einfach zum kotzen findet.
Uns hat auch geholfen, Dinge auch einfach mal durchgehen und unseren Sohn in Ruhe zu lassen. Irgendwann fängt man nämlich an, überzukompensieren und alles, aber auch wirklich alles zu bemerken und zu kommentieren. Das nervt natürlich auch unseren Sohn. Wenn sein Gemotze zu laut wird, setze ich auch einfach mal Ohrstöpsel ein und wende mich ab und mache meine Sachen. Dann kommt er von ganz alleine wieder an, entschuldigt sich und wir reden über die Situation. Das geht natürlich nicht, wenn geschlagen wird oder andere Gefahr droht. Aber man kann dem Kind auch mal die Selbstregulation zutrauen. Sollten wir auch häufiger machen.
Übrigens ist auch die Wahrnehmung unseres Sohnes durch Erwachsene, die uns nicht so nahe stehen, sehr positiv: Klug, eloquent, höflich, unterhaltsam. Das kommt von Leuten, sie ihn auch wütend erlebt haben, das aber gar nicht so schrecklich wahrgenommen haben, wie wir. Das ist halt auch etwas, was wir begreifen mussten: was wir als massiven Angriff oder Belästigung gesehen hatten, ist für andere normales Kindesverhalten. Es hilft also sehr, auch mal die eigene Perspektive zu überprüfen. Man blickt ja auch manchmal fassungslos auf andere Eltern, die wegen einer Nichtigkeit ihre Kinder anfauchen. Was aber in den Stunden davor abging und die Nerven der Eltern blank legte, sieht man natürlich nicht.
Herzliche Grüße und viel Erfolg!
Hallo Elsbetha,
ich begrüße Sie herzlich in unserem Elternforum. Ich bin eine der Moderatorinnen und mein Nick-Name hier ist bke-Ina Schweizer.
Sie schreiben von Wutausbrüchen Ihres Sohnes, die Sie - verständlicherweise - gerade beschäftigen und belasten. Immer wieder wird er in seiner Wut auch körperlich aggressiv. Das ist schwierig.
Von dem was ich gelesen habe, möchte ich sagen, dass Sie vieles richtig gut machen. Sie versuchen, die Situation zu unterbrechen, sie bieten Ihrem Sohn Unterstützung im Umgang mit den schwierigen Emotionen an, Sie führen nach Wutanfällen Routinen wie gewohnt durch...
Ich finde es wichtig, die Gefühle des Kindes zu validieren und gleichzeitig ganz deutlich zu machen, dass körperliche Aggression nicht ok ist ("Ich sehe, dass du wütend bist", "es ist ok, dass du wütend bist" UND "weh machen ist NICHT ok"). Manche Kinder erreicht man damit, andere sind so in ihrer Wut "gefangen", dass Worte kaum mehr ankommen. Dann steht an, was Sie auch getan haben, die Handlung zu unterbrechen. Was Kindern hilft mit ihrer Wut umzugehen ist, und sich zu regulieren, ist - in meiner Erfahrung - sehr unterschiedlich. Es gibt Kinder, die die Wut rauslassen müssen, die stampfen, Kissen an die Wand schleudern etc. und sich dadurch wieder spüren und abreagieren (wichtig ist, sichere Alternativen anzubieten, bei denen das Kind sich nicht verletzen kann. Gegen die Wand schlagen/boxen, kann auch mal doof ausgehen).
Es gibt Kinder, die einen Moment für sich brauchen, um sich zu beruhigen. Wichtig ist dabei, dass dem Kind nicht vermittelt wird, dass das alleine gelassen werden eine Strafe für seine Gefühle ist. Man kann ihm ruhig erklären, dass man die Erfahrung gemacht hat, dass es dem Kind hilf, wenn es einen Moment für sich hat, es jederzeit wieder kommen, oder rufen kann und man in ein paar Minuten wieder nach ihm schaut.
Manchen Kindern tut es gut, gehalten zu werden. Sei es, weil sie in ihrer Wut auch eine Verzweiflung spüren, und der Kontakt beruhigend wirkt, oder weil sie in ihrer Wut, sich selber kaum noch spüren und das gehalten Werden ihnen hilft, sich zu spüren und dann auch zu regulieren.
Sicher gibt es noch viele andere Möglichkeiten und x Kombinationen. Manche Kinder können auch schon recht reflektiert über ihre Gefühlszustände reden. Dann kann auch in einem ruhigen Moment das Thema nochmal aufgegriffen und das Kind gefragt werden, ob es spürt und formulieren kann, was ihm in solchen Wut-Momenten helfen könnte.
Eine letzte Idee meinerseits: Sie könnten mit Ihrem Sohn, seine Zündschnur mal genauer anschauen. Entweder nimmt man dafür ein Seil, eine Schnur, die man auf den Boden legt (gerade mit jüngeren Kindern im Alter Ihres Sohnes gut) oder man malt einen Strich auf ein Blatt Papier. Auf der einen Seite ist der Anfang der Wut, auf der anderen Seite die Eskalation. Dann kann man mit dem Kind besprechen, wie es seine Wut bemerkt und erlebt. Wie lange es bei abbrennen der Zündschnur Kontrolle verspürt und Handlungen steuern kann. Diese Punkte können dann eingezeichnet oder ein Symbol neben das Seil gelegt werden. Typischerweise fällt es Kindern, die zu Aggressionen neigen schwerer, erste Anzeichen der aufkommenden Wut zu erkennen und zu regulieren. Die Zündschnur bis zur Explosion ist sehr kurz. Indem sie lernen darauf zu achten, wie die aufkommende Wut sich anfühlt und vielleicht durch kleine Übungen (Atemübungen, auf 10 zählen, inneres Stop-Schild) reguliert werden kann, gewinnen sie ein Gefühl der Kontrolle und können ihre Zündschnur wachsen lassen. Je länger die Zündschnur, desto mehr Zeit bleibt bei Wut, sich zu regulieren, bevor es zur Explosion mit körperlicher und/oder verbaler Aggression kommt.
So viel erstmal von mir. Ich hoffe es sind ein paar für Sie hilfreiche Gedanken dabei und wünsche Ihnen hier einen spannenden Austausch mit anderen Usern.
Viele Grüße,
bke-Ina Schweizer